Geräte-Test Line-Vorverstärker "Continuance No.84" / "Pure Direct No.84"

Die Fachzeitschrift "HÖRERLEBNIS" schreibt:

   


Weniger ist mehr

von Alexander Aschenbrunner

Zugegeben, die Überschrift ist zumindest leicht angestaubt... Stammt diese These doch ursprünglich von den großen Bauhausarchitekten aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts und hat das Bestreben, Bauwerke frei von späteren, stilistischen Baumaßnahmen zu halten. Dennoch, warum genau dieser Leitsatz so unerhört treffend für die in Folge zu beschreibenden Produkte ist, will ich gerne darstellen.

Pure Direct No.84

Nichts ist direkter, als "Signal rein und unmittelbar wieder raus", so lautete der Leitgedanke bei der Verwirklichung des Vorverstärker Pure Direct No.84: Keine zusätzliche (Eingangs-)Schaltung zur Signalwahl, keine Relais im Signalweg. Möglicherweise wird diese äußerst puristische Ausführung manchem Hifi-Freund zu heftig sein. Aber es gibt nicht wenige echte Puristen unter den Musikliebhabern, die mit genau einem (!) einzigen Hochpegel-Eingang bestens bedient sind. Aufgrund von wiederholten Kundenanfragen baut Walter Bret nun diese Vorverstärkerversion auf der Basis des allseits bestens beleumundeten Bruders WBE Continuance No.84, der soeben einer Detailüberarbeitung unterworfen wurde. Wie dieser, so wird auch der Pure Direct No.84 in reiner Röhrenbauweise verwirklicht. "Nur 1 Eingang, deshalb kürzestmöglicher Signalweg und extrem wenige und ausschließlich - wie bei den anderen beiden Versionen - höchstwertige Bauteile in selbigem", so lautete die rigide Vorgabe. Völlig klar, daß z.B. das Alps-Lautsprecherpoti in der höchsten Selektionsstufe auf besten Gleichlauf ausgemessen wird. Eine bei diesem Modell serienmäßige Touchscreen-Fernbedienung beruhigt meine erste Irritation: "Wo ist denn bitte der Lautstärkeregler"? Sie ist nämlich ausschließlich zuständig für den Abhörpegel (...mehr gibts ja ohnehin nicht zum Einstellen).

Der Pure Direct No.84 ist das erste Gerät einer völlig "knopflosen" WBE-Geräteserie. Auch aus Gründen der puristisch zugeschnittenen Optik auf der Frontplatte des Verstärkers, entschied sich der Hersteller zu dieser Lösung. Da gebe ich ihm einerseits recht, irgendwie wäre mir persönlich allerdings eine manuelle Einstellmöglichkeit lieber. Alle elektromechanischen Bauteile (wie Relaiskontakte usw.) wurden aus dem Signalweg entfernt. Einziges verbliebenes - allerdings zwingend notwendiges - Bauteil dieser Art ist das Lautstärkepotentiometer. Die Spannungsverstärkung mit zwei - selbstredend ebenfalls höchst genau selektierten (Stichworte: klirrarm, klirrarm, klirrarm und nochmals klirrarm) - kanalgetrennten Doppeltrioden und der Einsatz einer professionellen Class-A-Ausgangsstufe sorgen neben einem weit ausgedehnten Frequenzgang (0,6 Hz bis 130 kHz) gleichzeitig für eine hervorragende Kanaltrennung und ein exzellentes Klirrspektrum. Ausdrücklich erwähnen muß ich noch die "Reifezeit" dieser Röhrentypen. 150 bis 200 Stunden gehen ins Land, bis sie sich zur klangvollen Blüte entwickelt haben. Eine lange Zeit, aber das dann resultierende Klangerlebnis entschädigt den Anwender völlig - und zwar für viele zehntausende Stunden. Was während dieser Phase passiert? Nun, am hörfälligsten ist die zunehmende Sauberkeit der Mitten und Tiefenfrequenzen und es gipfelt in einer völlig verzerrungsfreien Hochtonsektion. Alle Masseverbindungen sind sternförmig von einem zentralen Massepunkt mit Silberverdrahtung ausgeführt und nicht nur die kontaktoptimierten Keramiksockel der Röhren zeigen die Konsequenz letztlich im Detail auf.

Aufgrund des selbstauferlegten Purismus entschied sich WBE übrigens für alle Pure Direct/Continuance-Typen ausschließlich für erlesene Zutaten. Dies kostet allerdings leider um ein Vielfaches mehr als herkömmliche Bauteile. So kommen z.B. beim Pure Direct No.84 Doppeltrioden vom Typ E83CC - allerdings hier eine Weiterentwicklung der üblichen Militärversion - zum Einsatz und darin begründet sich der Preis dieser Version. Die muß man gehört haben... Diese Röhrentypen sind als Upgrade auch in den beiden anderen Continuance-Versionen möglich. Ein völlig neu entwickeltes Schaltungsdesign ohne Überallesgegenkopplung (sorry, aber das allein zu erklären, würde mehrere Seiten Ausführungen bedeuten...), eine stabilisierte Anoden- und Heizspannung sowie eine Softstart-Steuerung fordern zwingenderweise dem Musikliebhaber eine anfänglich Wartezeit von ca. fünf Minuten ab, bis alles freigeschaltet wird. Die beiden dazugehörigen (wie bei allen Voverstärkern von WBE üblich) ausgelagerten 50VA-Netzteile teilen sich die Versorgung der Röhren- und der Halbleitersektion (sowie der Stromversorgung des Fernbedienungs-Empfängers). Im Ergebnis ist auch der Pure Direct No.84 notabene alles andere als ein Leichtgewicht geworden - solide 8,6 Kilogramm (incl. der Netzteile) Verstärkertechnik sprechen für sich...

Nachgefragt

Die Kausalfrage lautet nun: Erfüllt dieser Proband die hoch angesetzten Ansprüche auch beim Musikhören? Ich könnte jetzt in Analogie zur Überschrift kurz bescheinigen: "Ja und dies schlichtweg perfekt". Aber ich denke, ich muß diese Aussage anhand von Hörbeispielen dokumentieren. Streng nach dem bekannten Gourmetprinzip "Nur die besten Zutaten" besteht die musikalische Titelsuche ausnahmslos aus hervorragenden Tonträgern - in Bezug auf die Aufnahmequalität setze ich diesmal ganz besonders hohe Maßstäbe an. Zuvor muß ich noch erwähnen, daß mir zur Differenzierung der unterschiedlichen Schaltungstechniken auch der aktuelle Vorverstärker WBE Continuance No.84 mit der Röhrenbestückung JAN (Joint Army Navy) Philips E83CC aus dem produktionstechnisch gesehenen besten - vergleichbar mit Jahrhundertweinen - Jahrgängen 1986-1987 zur Verfügung steht. Wohlgemerkt, nicht zum Gerätevergleich - was ja allein aus konstruktiven Gründen schon nicht fair wäre - sondern um die Unterschiede festzustellen, die beim Pure Direkt No.84 wahrnehmbar werden soll(t)en. Weiters noch eine zusätzliche Geräteversion der Continuance No.84, die ohne jegliche Hinterbandkontrolle auskommen muß. Dies ist nun nicht wirklich ein Hemmnis, im Gegenteil: wieder ein Schaltkreis weniger, stellt es im Grunde eine weitere Lösung zwischen den beiden anderen Typen dar. Wenn man so will: "Der dritte im Bunde".

Wohlan...

Als Spielpartner in dieser Anlage kommen als treibende Kraft die beiden Doppelmono-Trioden Rank ZN3306 (die Transistorfraktion deckt die WBE Essence 300 ab) zum Einsatz, von seiten der Signalgebung der von WBE getunte Teac VRDS 25x, als Wiedergabeobjekte die Sehring S 703 P - und last, but not least, aus der Phonoabteilung: der Bavarian Stone (mit Prototyp-Rubinlager) von Acoustic Solid mit Tonarm SME 3500 (erst kürzlich erworben und gleichermaßen präzise wie spielend leicht mit der Tonarmschablone von Acoustic Solid perfekt justiert sowie dem Tonabnehmersystem Lyra Argo (mit Hilfe der Acoustic Solid-Tonabnehmerauflagekraftwaage eingestellt) und dem Pre/Pre Trigon Advance im Signal verstärkt. Alles durchgängig verbunden mit HMS Gran Finale NF- und LS-Kabeln. Den beiden Ranks wuchsen von je einem Gran Finale Netzkabel quasi Flügel. Und welche Wiedegabequalitäten die WBE Essence 300 in dieser Anlagenkonfiguration nun zeigt, klassiert sie zum heimlichen "Star" in dieser Kette. Ich gestehe: "Ja, hier spielen des Rezensenten persönliche Lieblinge."

Erkenntnisse

Worauf begründet sich denn nun der akustische Unterschied der Pure Direct No.84 zum bisherigen Vorverstärker WBE Continuance No.84? Um es ganz kurz zu machen: Im Schaltungsdesign. Aufgrund des einzigen Bauteiles (Lautstärkepoti), das sich im direkten Signalweg befindet, wird sofort nachvollziehbar, daß der Pure Direct No.84 seinem Namen alle Ehre bereitet. Wer sich selbst überprüft und im Ergebnis klar (!) zu einem Quelleneingang stehen kann, den wird das auch äußerlich streng puristische Resultat (keinerlei Bedienknöpfe mehr, da voll fernbedient), explizit im Falle dieser Version des Vorverstärkers wahrhaftig ansprechen. Hörfällig wird nämlich bei diesem Gerät die zum Urprodukt nochmals gesteigerte Musikalität, verbunden mit einer noch etwas holographischeren Musikreproduktion, als auffälligste Verbesserung.

Continuance No.84 ohne Hinterbandkontrolle

Wegfall der Hinterbandkontrolle bedeutet logischerweise auch Wegfall der immer im Signalweg befindlichen Relaiskontakte. Diese Hinterbandkontrolle braucht heutzutage ohnehin (fast) niemand mehr. Die verbleibende Möglichkeit, trotzdem noch mehrere Quellengeräte anzuschließen, macht mir ganz persönlich diese Version sehr genehm (denn die Pure Direct-Ausführung wäre mir allein mit nur einem Eingang zu puristisch. Ständiges Hin- und Herstöpseln liegt mir nicht). Eine hoch spannende Angelegenheit - wo, oder besser gesagt, in welcher Weise, finden sich denn überhaupt Unterschiede zum Urprodukt? Ganz ehrlich, hier "Welten" zu attestieren wäre falsch, aber wie so oft sind es die Feinheiten.

Zum besseren Verständnis: wir bewegen uns hier im Grenzbereich des "oberen Drittels". Also kein boahh, uhii ... oder ähnliches. Sondern vielmehr konzentriertes Hineinhören, um festzustellen, daß es letztlich doch Unterschiede gibt. Mich persönlich hat die Version Continuance No.84 ohne Hinterbandkontrolle vollständig überzeugt, ein Unterschied zum "Normalo" ist sofort hörbar, gleichzeitig aber auch schlecht erklärbar - irgendwie klingts etwas freier, lockerer und damit auch einen Tick schneller. Die musikalische Steigerung dazu bietet der Pure Direct No.84 durch seine Schaltungstechnik und vor allem Röhrenbestückung - was allerdings die ursächliche Continuance-Vollversion in keiner Weise deplaziert. Der Raum wird tief und breit, die Aufstellung der einzelnen Instrumente noch klarer umrissen. Diese Nuancen sind ... nun, ich denke, mit "röhriger" auf den Punkt gebracht; hörbar wird dies beispielsweise bei Norah Jones, unbedingt in der Vinylversion - sowie jedweden anderen feinfühligen musikalischen Darbietungen. Selten war ich so stark gefordert, um die Unterschiede zwischen den Geräteversionen herauszuhören. Bei großorchestralen Musikstücken, wie z.B. Antonin Dvoraks "Slawische Tänze op. 46 und 72", oder auch bei Schostakowitschs Symphonien, kommt der Stoizismus aller verwendeten Geräte zur Wirkung. Null Rauschen, keinerlei tonale Irritationen - nichts dergleichen. Und was denke ich? Plötzlich empfinde ich es als völlig normal, daß Musikübertragung solchermaßen "hörbar" wird.

Und was hört man so...?

Eigene Hörerlebnisproduktionen zeichnen sich durch äußerste Neutralität aus, und so beginne ich mit der letzten HE-Produktion "stokes", genieße mal wieder diese Kombination aus Weiträumigkeit und Detailabbildung. "Salsafuerte" von Peregrina-Music (Bauer-Studios Ludwigsburg) sorgt für mitwippende Füße und bei Friedemann "the concert" (ebenfalls aus dem Hause Bauer) versinke ich in Klängen, die in mir für Ruhe und Entspannung sorgen. PeeWee Ellis meets Horace Parlam mit "gentle man blue", eine Produktion (1999 Minor Music, 801073) mit Mastering aus dem Hause Rainer Röder (Bonn) bringt mit lediglich zwei Instrumenten - Tenorsaxophon und Klavier - eine unerhört direkte Atmosphäre in meinen Hörraum. Und so geht es weiter... Dergleichen weitere Klangjuwelen aus meinem Fundus aufzuzählen betrachte ich als überflüssig - wie so oft rundet nur noch Luqman Hamza mit "with this voice" diese Hörsession musikalisch perfekt ab.

Ich bin echt beeindruckt. Meine bisherigen Erkenntnisse müssen sich erst einmal setzen, wie man so schön sagt. "Dieser Walter Bret...", so meine Gedanken, "schafft es immer wieder aufs Neue, mich zu verwundern..." Wobei allein sein technischer Ansatz sowie der Anspruch an die wenigen, verwendeten Bauteile fraglos völlig logisch erscheint - das kann ja nur besser sein ... weniger ist mehr... Der alter Grundsatz bewahrheitet sich auch in diesem Fall. Klanglich voll zufriedengestellt, nur noch auf die Musik konzentriert, öffne ich eine schöne Flasche Leon Barral 2001 und lehne mich zurück...

Fazit:

Der WBE Continuance No.84 ist ein allseits bestens beleumundeter, spitzenmäßiger Röhrenvorverstärker, da gibt es nicht einmal ansatzweise etwas zu bekritteln. Nicht nur in seiner direkten Preisklasse ist er ein wahrhaft ernstzunehmender Kandidat (es müssen zumeist schon wirklich teure "Kollegen" kommen, um ihm Paroli zu bieten). Hält man sich nur die reine Herstellungszeit vor Augen, so gehen ca. 40 Stunden ins Land. Diese Tatsache bestätigt allein schon meine Ansicht, daß die WBE-Geräte ihren Preis mehr als wert sind - Handarbeit im ureigensten Sinne des Wortes. Mein ganz persönlicher Tip: Das Gerät ohne Hinterbandkontrolle und ohne Fernbedienung (mit der außergewöhnlich guten Röhrenbestückung des Pure Direct No.84/ Continiance No.84) zeigt augenblicklich auf, welche Potenzen sich in einem eigentlich bereits optimierten Gerät noch verbergen können. Und der Pure Direct No.84 schließlich ist ein Gerät, das die Signalumsetzung puristisch konsequentestmöglich nutzt, allerdings mit einem Komfortnachteil verbunden, nur eine einzige Signalquelle anschließen zu können. Allen drei Versionen ist unbedingt gemein: Jederzeit exaktes Timing mit einem Wiedergabecharakter, der wahrhaftig sehr nah an der Realität spielt. Die Continuance No.84 gibt es mit oder ohne Fernbedienung - je nach Gusto (die Pure Direct No.84 gibt es ja ohnehin nur mit Fernbedienung). So lautet, auch wenn ich mich zwangsläufig wiederhole, schlußendlich mein Statement: "Weniger ist mehr"!  AA

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